Obwohl das Bugholzmöbel keine Wiener Erfindung ist, so wird der Bugholzsessel außerhalb Österreichs doch auch immer wieder kurz als „Wiener Sessel“ bezeichnet. Die Technik, gedämpftes Holz zu biegen, ist bereits im Mittelalter gebräuchlich.
MAK – Museum für angewandte Kunst
Michael Thonet (1796–1871), der aus Boppard am Rhein stammende, innovative Tischler, beschäftigt sich in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit einer handwerklich ökonomischeren Umsetzung geschweifter, spätbiedermeierlicher Möbelformen. Er erreicht dies mit Hilfe in Schichten verleimter, gebogener Furnierschwarten.
 
Sein 1842 auf Vermittlung des Fürsten Metternich erfolgter Umzug nach Wien, eröffnet ihm den weitaus größeren Markt des österreichischen Kaiserreiches. In konsequenter Weiterentwicklung der Holzbiegetechnik gelingt es ihm 1852, ein Patent auf das Biegen schichtverleimten Holzes in mehrere Richtungen und schließlich 1856 ein solches auf das Biegen massiven Holzes anzumelden.
 
Die großartige Leistung Thonets liegt neben der Weiterentwicklung der Holzbiegetechnik vor allem in seiner Begabung, diese in eigenständige, einer breiten Käuferschicht zugängliche und formal durch ihre Selbstverständlichkeit überzeugende, zeitlose Produkte umzusetzen. Seine aus der Faszination mit einer Verarbeitungstechnik entstandene Ästhetik weist dem Sitzmöbel neue Richtungen. Aus seiner Möbelsammlung zeigt das MAK einen Überblick über hundert Jahre Thonet’scher Produktion sowie jener der Konkurrenzfirmen von den dreißiger Jahren des 19. bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. / Christian Witt-Dörring, Kurator
Künstlerische Intervention
Barbara Bloom
MAKtour
Gemeinsam mit unserer Kunstvermittlung haben Sie die Gelegenheit, unsere Schausammlungen jede Woche neu zu erkunden. Jedes Mal wird ein anderer Schwerpunkt gesetzt mit spannenden Geschichten zu Objekten, Einblicken und Hintergründen.
 
Jeden Freitag, 16.30 Uhr (in Englisch) 
Jeden Sonntag, 11 Uhr 
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Künstlerische Intervention
Barbara Bloom
Michael Thonet, ein deutscher Möbeldesigner, beeindruckt einen österreichischen Fürsten mit seinen eleganten Entwürfen und seiner innovativen Herstellungstechnik so sehr, dass er beauftragt wird, einige Holzarbeiten für ein Schloss in Wien anzufertigen. Danach ermutigen ihn höhere Tiere, seine Fabrik nach Österreich zu verlegen. Dort floriert sein Geschäft und daraus wird eine international bekannte Erfolgsgeschichte des späten 19. Jahrhunderts.
 
Dies ist der beispielhafte Fall eines ästhetisch-raffinierten Entwerfers, der bereit ist, mit Herstellungstechniken zu experimentieren. Ein von Reduktionsmethoden überzeugter Mann, wobei er (als Vorläufer der modernen "Form follows function") den immanenten Qualitäten des Materials – Holz – erlaubt, seine Entwürfe zu bestimmen. Er ist Reduktivist auch im Sinne der Produktion, spart Materialien und Zeit mit seinem ökonomischen Montageband und verwandelt ein Handwerk in eine Art internationaler Massenproduktion. Er bewirbt und vertreibt seine Möbel durch Kataloge – ein Zeichen, dass Thonet auch ein brillanter Frühkapitalist ist. Er sieht die Notwendigkeit einer Konsumgesellschaft voraus, deren Bedürfnisse erst geschaffen werden müssen, bevor man sie erfüllt.
 
Dies ist eine gute Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm, mit einem klaren Handlungsablauf. Ich fände es gut, wenn die Partie Thonets von jemandem wie Nick Nolte gespielt würde, akzentuiert und überzeugend in der Darstellung seines langen, ereignisreichen Lebens. Es würden vorkommen: Erste Preise bei Internationalen Weltausstellungen, auf jeden Fall verschiedene Wiener Caféhaus-Szenen und vielleicht Klassenkonflikte in der Fabrik. Gute Story!
 
Worauf ich jedoch wirklich gespannt bin (und ich hoffe, dass ich lange genug lebe, um es sehen zu können), ist ein interaktiver Video-Dokumentar- und Spielfilm über das Leben des IKEA-Gründers Ingvar Kamprad, der vielleicht im frühen oder in der Mitte des 21. Jahrhunderts gedreht wird. Dieser Prototyp für Geschäftserfolg im späten 20. Jahrhundert braucht uns nicht vorgestellt werden. In der Zukunft wird man sich an IKEA als einen überaus attraktiven Betrieb mit vielfältigem Kundenkreis erinnern, so etwa von den meisten europäischen Intellektuellen, die ihre Bibliotheken mit "BILLY"-Regalen geordnet haben, bis hin zu jungen 1 1/2-Kinder-Familien, die mit Hilfe der cleveren IKEA-Taktik, jedem Objekt im Katalog einen eigenen Namen zu geben, die Hürde des Geldausgebens überwinden. Man braucht kein Sofa zu kaufen, wenn man "BJÖRN" mit nach Hause nehmen kann.
 
Nun stelle man sich diese beiden Filme als Doppelangebot vor. Zusammen bilden sie ein gutes Paradigma für den Fortschritt. Was lebt weiter? Ist es die augenfällige Ästhetik und Raffinesse des Entwurfs bei Thonet, seine Hingabe an experimentelle Techniken, seine Reduktionsmethoden oder irgendein später mutanter Kapitalismus, irgendeine anthropomorphisierte Form des Angebots und der Nachfrage, wobei das Bedürfnis des Kunden durch „Bambi-fication“ kreiert wird? Ich bin sicher, dass der IKEA-Film von Disney inszeniert werden wird. / Barbara Bloom
 
Kurzbiografie Barbara Bloom
Geboren 1951 in Los Angeles, lebt und arbeitet in New York.
Barbara Bloom transformiert Objekte diverser Kulturen zu Kompositionen und Installationen und beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit sozialen Fragestellungen, die die Themen Konsum, Information und Realität betreffen. Schönheit und Symmetrie dienen in ihren Arbeiten als Instrumente für die Untersuchung von Illusion, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit in unserer zeitgenössischen Kultur.

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